Anders, als bisher gedacht

Die Welt – und ich selbst – sind definitiv anderes, als ich bisher dachte. Aber ich bin ja lernfähig, nur geht das nicht von jetzt auf gleich. So ein Umbau der Synapsen geht leider nicht so schnell von statten. Daher schreibe ich hier, sozusagen als Übung. Aber auch Motorradfahren habe ich nicht an einem Tag gelernt. Mir fehlt einfach noch was zum perfekt fahren können, aber ich bin ja noch am Üben.

Uns fehlt dummerweise die Sprache, wie Hans-Peter Dürr sagt, um zu beschreiben, was wir erleben, weil wir mit der Sprache und ihren Begriffen in der Regel am Horizont eines Dings – der Welt der klassischen Physik – bleiben. Das ist die eigentliche Herausforderung – herausfinden, wie ich all das Wissen, über das wir verfügen, umsetzen und ganz selbstverständlich darüber reden kann.

Was ich beobachte und wahrnehme, sind ja nichts anderes als Interpretationen aufgrund meiner mentalen Theorien. Einstein hat das sehr gut ausgedrückt: „Vom prinzipiellen Standpunkt aus betrachtet ist es ganz falsch, eine Theorie nur auf beobachtbare Größen gründen zu wollen. Denn es ist ja in Wirklichkeit umgekehrt. Erst die Theorie entscheidet darüber, was man beobachten kann.“

Ich werde mich nur dann aus meinem bisherigen Weltbild lösen können, wenn ich eine Theorie finde, die mich erkennen und wahrnehmen lässt, was tatsächlich ist; denn erst die in meinem Geist vorhandenen Vorstellungen und Ideen bestimmen und ermöglichen eine Interpretation meiner Sinneseindrücke. 

‚Mein‘ inneres, mentales Weltbild ermöglicht mir die Phänomene, die ich wahrnehme, in einer bestimmten Art und Weise zu interpretieren – mit anderen Worten, meine Wahrnehmungen so zu organisieren, dass ich mich darin ‚zurechtfinde‘.

Dementsprechend gilt: Stelle ich mich auf den Standpunkt einer Atomtheorie mit Atomen und Elektronen als Partikel, dann werde ich Atome und Elektronen beobachten (sofern ich über die entsprechenden Geräte verfüge). Stelle ich mich auf den Standpunkt einer Theorie, die die Materie ohne Teilchen beschreibt, werde ich Entsprechendes beobachten – sofern meine Theorie stimmig ist.

Das ist das eigentliche Problem: Die bisherigen Theorien über Materie, Licht und so weiter waren schon stimmig – nur eben nicht vollständig. Sie klammerten das nicht Offensichtliche, das Innere aus; sowohl bei der Materie wie auch bei uns selbst.

Das, was ich im „Schauspiel des Lebens“ beobachte, ist abhängig von den eigenen geistigen Vorstellungen, die wiederum selbst das Ergebnis vorheriger Interpretationen sind. Insofern sind meine Vorstellungen und Ideen die besten Beweise für die Existenz eines nicht materiellen Geistes. Nur muss ich das immer wieder validieren, um nicht im Mystizismus zu landen.

Der größte Teil meiner bisherigen Vorstellungen entstand aus Konventionen, die ich beispielsweise als kleines Kind durch Kommunikation mit meinen Eltern lernte. Andererseits hinterlässt jede Handlung eine neue Datenspur in meinem Geist, die wiederum meinen Blick auf meine (!) Welt prägt.

Denn „wir sind von dieser Welt und nicht bloß in dieser Welt; wir sind selbst Erscheinungen, da wir ankommen und fortgehen, erscheinen und verschwinden“ – wie Hannah Arendt sagt. Dabei mache ich es mir einfach: Ich gehe von dem aus, was wir heute nachweislich schon wissen. Keine Sorge, das ist spooky genug. Für viele klingt das eher nach Sciencefiction als nach einer Beschreibung der Wirklichkeit. Hier die Aussagen der Quantenphysik in Kürze:

    • Die Newton’sche Trennung von Subjekt und Objekt ist nicht mehr aufrecht zu erhalten.
    • Elementarteilchen existieren, solange sie unbeobachtet sind, weder als Welle oder Teilchen, sondern als etwas anderes. Wahrscheinlich erscheinen sie erst im Moment der Messung.
    • Was gemessen wird, erscheint klar und definierbar, alles andere aber nicht.
    • Die Wirklichkeit ist nicht eindeutig bestimmt, sondern kohärent, erst das Sicht- und Erfahrbare ist dekohärent – oder erscheint so zu sein.
    • Eine Entweder-Oder Kausalität gibt es nicht, sondern nur eine Sowohl-als-Auch Kausalität. Nichts ist wirklich eindeutig.
    • Zwei Teilchen (wenn man in der Auffassung von „Teilchen“ aus der klassischen Physik denkt), die am gleichen Ort und zur gleichen Zeit entstanden sind, können auf Dauer miteinander verbunden sein, d.h. trotz großer lokaler Distanz ein zusammenhängendes quantenphysikalisches System bilden (Verschränkung).
    • Quantenmechanik erzählt uns einiges über Systeme und Gemeinschaften. Etwa, dass das einzelne Quantenteilchen absolut keinen Plan hat, es reagiert absolut zufällig, ohne eine klare Ursache. Eine ‚Meinung’ entwickelt es erst in der Beziehung zu anderen.
    • Einen objektiven Beobachter, der außerhalb des Geschehens steht, gibt es nicht. Die subjektive Beobachtung verändert die Welt nicht nur, sondern ist für sie konstitutiv,

Das erfordert ein gewaltiges Umdenken. Aber wie sagte doch Anton Zeilinger? „Einstein hat gemeint, die Welt kann nicht so verrückt sein (wie es die Quantenphysik darstellt). Heute wissen wir: Sie ist so verrückt!“

Quantenphysik ist etwas für den Verstand, es vermittelt mir nur Fakten, jedoch keine Philosophie über die Welt, kein Weltbild. Da muss ich dann selber ran, wobei ich mich da am liebsten an Nagarjuna und einigen Ch’an-Menschen orientiere. Die sagen solche Sachen, bei denen auch ein Quantenphysiker mit dem Kopf nicken würde:

„Niemals und nirgends
entsteht eine Erscheinung
aus sich heraus, aus anderem,
aus beidem oder ohne Ursache.“

So wie Nagarjuna zu denken, darin liegt eine besondere Qualität des Denkens. Nagarjuna will uns wegführen von der üblichen einfachen Denkweise, die immer nur vom Entweder-Oder, Schwarz-oder-Weiß ausgeht: Entweder entsteht etwas aus einer Ursache oder etwas entsteht nicht aus einer Ursache.

Stattdessen möchte er uns neue, noch nicht geläufige Denkwege zeigen, damit wir das „abhängige Entstehen“, die relativistische Vernetzung alles Existierenden verstehen lernen. Und genau da will ich hinkommen, so zu denken.