Die Kunst zu leben

Wieso hat das mehr mit Fechtkunst als mit Tanzkunst zu tun? So jedenfalls sieht es Marc Aurel, der in seinen Selbstbetrachtungen Folgendes schrieb: „Die Kunst zu leben hat mit der Fechtkunst mehr Ähnlichkeit als mit der Tanzkunst, insofern man auch auf unvorhergesehene Streiche gerüstet sein muss.“

Und es sind wahrlich nicht nur die Männer, die in dieser Kunst des Fechtens bewandert sind! Das behaupte ich, denn auch ich bin wie Marc Aurel der Ansicht, dass die Kunst zu leben, jedenfalls so, wie es offensichtlich vielfach verstanden wird, eher einer Fechtkunst als einer Tanzkunst ähnelt.

Was die Frage aufwirft, warum das so ist? Mir fällt da sofort der Slogan des „Survival of the fittest“ was meist so verstanden wird, dass der Stärkere gewinnt. Was aber, wenn man einmal die Natur genau betrachtet, nicht stimmen kann, scheint doch die Natur eher einem Tanz zu ähneln, bei dem, zugegebenermaßen, sich zwar der eine sich von dem anderen ernährt, aber nicht zwingend der Stärkere gewinnt.

Also ich bin sicher stärker als eine Hornisse, was aber nicht bedeutet, dass ich mit einer kämpfen möchte, ganz abgesehen davon, dass ich sie und sie mich nicht als Lebensmittel ansieht. Wir brauchen uns nur aus dem Weg zu gehen, dann ist schon alles gut.

Und anders als viele Menschen lassen Tiere die anderen unbehelligt, wenn sie satt sind. Und genau da steckt wohl das Problem drin: Was macht uns satt? Ein Tier ist zufrieden, wenn es den Bauch voll hat und überfrisst sich auch nicht, jedenfalls normalerweise.

Eigentlich sollte uns ja bewusst sein, dass man Geld nicht essen kann und davon auch nicht satt wird. Jeder versteht das – nur weshalb leben wir dann nicht entsprechend, sondern wollen andere beeindrucken?

Letztlich geht es vielen oder gar den meisten Menschen darum, den anderen zu beeindrucken. Statt dass wir tanzen würden – und das nicht nur gelegentlich zu Waffenstillstandszeiten. Ich glaube nicht, dass es Gier oder was auch immer ist, die uns gierig sein lässt, das ist nur das Symptom, nicht die eigentliche Ursache.

Die dritte „Lektion“ in Carlo Rovelli’s Büchlein „Sieben kurze Lektionen über Physik“ lautet „Die Architektur des Kosmos“. Wie will ich mich aber in einem Gebäude zurechtfinden, dessen Architektur ich nicht kenne, ich mir vielmehr einbilde, sie zu kennen, dabei aber offensichtlich völlig falsch liege?

Fakt ist, was wir tun, tun wir um (in unserer Vorstellung) „gut“ existieren zu können.  Auch die, die glauben nicht existieren zu können, die Existenzängste haben, gehen der identischen Frage nach: Was brauche ich um existieren zu können? Jedoch ist das, so meine Überzeugung, eine illusorische Frage, solange wir uns nicht darum bemühen, die kosmischen Regeln – zumindest einigermaßen – zu verstehen und vor allem zu leben.

Wenn Pflanzen, Tiere und kleine Kinder das können, wieso sollen wir als Erwachsene das nicht auch können? Wahrscheinlich bräuchten wir uns nur aus unseren konventionellen Vorstellungen lösen, was wir brauchen um zu existieren. Wenn wir uns nur auf diesen Gedanken einlassen, was wir wirklich zum existieren brauchen, vielleicht kommen wir dann den Regeln näher.

Vielleicht der Weg zur Kunst des Lebens – lernen, „nur“ zu existieren – so wie Nachars Katze?