Irren ist menschlich

Eine hoch interessante Sache. Ich denke nicht, dass sich die Katzen, mit denen ich kürzlich zu tun hatte, über mich geirrt haben. Oder sehr kleine Kinder, die wissen sehr genau, wen sie da vor sich haben.

Zu dieser Überlegung bin ich gekommen, als ich über die Schwierigkeiten nachgedacht habe, die sehr viele Menschen haben, wenn sie sich geirrt haben. Früher war es für mich extrem schwer zuzugeben, wenn ich mich geirrt hatte. Heute ist das kein Problem mehr, jedenfalls für mich, jedoch oft für andere.

Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich nicht mehr so vorsichtig argumentiere. Als ich noch Probleme damit hatte mich zu irren, suchte ich ganz einfach dieser „Konfrontation“ aus dem Weg zu gehen – und flüchtete mich in Beliebigkeiten. Dabei war es nicht etwa die „Konfrontation“ mit der oder dem anderen, der ich aus dem Weg ging, sondern die Tatsache, dass ich mit meiner Ansicht falsch liegen könnte, fiel mir schwer, also von Anfang an eine andere Meinung überhaupt für möglicherweise richtig und meine für potentiell falsch zu halten.

Das Gefühl, sich geirrt zu haben, bedingt nämlich eine radikale innere Veränderung. Die meisten verteidigen sich immer, sie rationalisieren alles. Osho hat es einmal so beschrieben:

Sagt der bekümmerte Patient zum Psychiater: „Ich bin bis über beide Ohren in mein Pferd verliebt!“ – „Was ist schon dabei“, antwortet der Psychiater. „Viele Leute lieben Tiere. Meine Frau und ich haben einen Hund, den lieben wir abgöttisch.“ – „Ahhh, Herr Doktor, „ich fühle mich aber körperlich von meinem Pferd angezogen!“ – „Hmmm“, macht der Psychiater. „Was für ein Pferd ist es denn? Hengst oder Stute?“ – „Stute natürlich!“, empört sich der Patient. „Sagen Sie mal, wofür halten Sie mich eigentlich?

Irgendeine Verteidigung findet sich, egal ob Torheiten, Krankheit, Neurosen oder was auch immer.

Ikkyû Sôjun hat eine interessante Anmerkung zu Fehlern: „Meine Freunde, hier ist was für euch: Erleuchtung bedeutet Fehler über Fehler.“ Will Ikkyû damit sagen, dass nur sogenannte Erleuchtete Fehler machen oder besonders häufig Fehler machen? Man könnte natürlich denken, das sei Quatsch, weil „Erleuchtete“ nicht mehr und nicht weniger Fehler als der Rest der Sterblichen machen würden, da Menschsein eben bedeutet, Fehler über Fehler zu machen.

Doch wenn man jetzt denkt, die ganze Natur sei nicht perfekt, denn auch sie mache Fehler über Fehler, dann liegt man falsch. Jedenfalls ist das meine Überzeugung. Die Natur macht keine Fehler, sie probiert manchmal nur aus, wie man mit einer unbekannten Situation klar kommen kann. Oder was besser funktioniert. Fehler zu machen bedeutet ja wissen zu können, was richtigerweise zu tun ist – und nicht etwa was zu tun wäre!

Die Natur lebt definitiv nicht im Konjunktiv. Auch ich lebte im Konjunktiv, jedenfalls bis ich erkannt habe, dass ich nichts als ein sich selbst organisierender Prozess bin. Ein sich selbst organisierender Prozess kann (!) keine Fehler machen. Ich habe das gerade wieder einmal am eigenen Leib erlebt. Ich habe einen Fahrfehler begangen, und jetzt ist mein Motorrad in der Reparatur und mein Daumen muss vielleicht operiert werden.

Einen Moment lang habe ich mit dem Gedanken gespielt, dem entgegenkommenden Fahrer die Verantwortung dafür zuzuweisen. Doch nur einen Moment lang, denn es war ganz klar mein Fahrfehler. Es war auch definitiv ein Fehler, weil ich nicht aufmerksam genug war, Ich war nicht bei dem, was ich tat. In Gedanken war ich ganz woanders. Das ist etwas, was Tiere (und die Natur ohne den Menschen) nicht tun.

Die Frage war für mich also, ob ich zugebe, mich geirrt zu haben – denn das bedeutet es, einen Fehler zu machen – oder ob ich dem entgegenkommenden Autofahrer die „Schuld“ an dem Ganzen in die Schuhe schiebe, wenigstens in meinen Erzählungen. Was ich nicht getan habe und das Thema war sehr schnell vom Tisch.

Die interessante Frage ist, aus welchem Grund viele Menschen Geschichten erfinden, um anderen die Verantwortung zuzuschieben, ganz anders als die übrige Natur. Eigentlich einfach zu erklären: Eine Katze erlebt das, was ist, und nicht das, was sie darüber denkt. Was nicht bedeutet, dass Katzen nicht denken würden, sie denken nur nicht nach. Nachdenken tue ich aber nur, wenn es da ein „Selbst“ gibt, etwas, das mich „beobachtet“. Etwa so:

Das Bild „mit“ Beobachter ist das bisherige Verständnis der Psychologie der menschlichen Entwicklung. Und genau das ist vielleicht das grundlegende „Problem“ – die Annahme eines inneren Beobachters. Nehme ich einen solchen Beobachter an, konstruiere ich damit ein „Selbst“. Doch diesen inneren Beobachter gibt es nicht, so die moderne Psychologie, sondern nur eine Menge im Gehirn gespeicherter Informationen, die wir mit den Erfahrungen abgleichen, die wir durch unser Tun machen.

Das wiederum bedeutet, dass ich in dem Moment, in dem ich „nur“ nachdenke, diesen Beobachter brauche, um zu einem Ergebnis kommen zu können. Das wiederum bedeutet, dass ich mich von meinem eigentlichen Tun mental abgekoppelt habe, beziehungsweise abgekoppelt haben muss. Daher erlebt mich eine Katze unmittelbar und denk nicht über mich nach, auch wenn sie denkt, ganz im Gegenteil von Menschen, die noch nachdenken.

Es ist dieser innere Beobachter, das Selbst, das sich angegriffen fühlt wenn wir uns irren. Das ist in etwa so, als würde ich erkennen, dass der Mensch, auf den ich mich bisher blind verlassen habe, mir die Unwahrheit sagt. Es ist genau diese Enttäuschung, der wir aus dem Weg gehen wollen, wenn wir nicht zugeben wollen, uns geirrt zu haben.