Jederzeit änderbare Persönlichkeit

Nichts leichter als das, erfinde ich mich (theoretisch) doch in jedem Moment neu. Ich habe (theoretisch) immer die freie Wahl, mich anders zu entscheiden. Wie gesagt, theoretisch.

Theoretisch ist das so lange, wie ich glaube, an meine Glaubenssätze gebunden zu sein. Erst wenn ich mich nicht mehr an meine eigenen Glaubenssätze binde, bin ich frei in meinen Entscheidungen. Doch solange ich sie nicht aufgeben will, binde ich mich selbst.

Im Videospiel „Pentiment“ können die Spielerinnen und Spieler mit ihren Entscheidungen beeinflussen, wie sich der Plot entwickelt. Das ist nicht nur gut gemacht, sondern auch äußerst lehrreich, ist es doch im „normalen“ Leben nicht anders.

Wirklich problematisch wird es jedoch dann, wenn ich mir nicht bewusst bin, dass ich in meiner Entscheidung „eigentlich“ frei wäre. Dann merke ich meine Unfreiheit nicht und wenn ich die nicht merke, merke ich auch nicht, dass ich eine Wahl hätte.

In solchen Situationen fühlt sich richtig an, was ich tue, auch wenn es falsch ist und mir eher schadet. Mich aufzuregen ist ein Beispiel dafür. Meine Aufregung ist immer subjektiv, aber ich sehe sie als gerechtfertigt an, weil … . Doch was ich in solchen Situationen früher nie machte war, mir bewusst zu machen, nicht was den Trigger bei mir ausgelöst hat, sondern was überhaupt der Trigger ist!

Ein Beispiel: Früher liebte ich Nieren mit Spätzle. Heute mag ich sie nicht mehr besonders. Weshalb? Der „Wohlfühleffekt“ ist weggefallen, weil ich den Zusammenhang erkannt habe. Hatte nicht mit Geschmack zu tun, sondern mit der Beziehung zu meiner Mutter.

Alles, was mich in meiner Persönlichkeit ausmacht, kann ich also ändern – wenn ich nicht festgelegt bin. Früher kam mir mein Leben immer wie ein Film vor, doch wenn ich es genau betrachte, dann ist es alles andere als kontinuierlich, sondern immer wieder neu arrangiert. Manches bleibt natürlich, etwa wer meine Eltern sind oder wer mein Bruder ist, wann ich geboren bin, dass ich zwei Kinder habe und keine Frau bin, doch das war es dann auch schon so ziemlich.

Der Rest, und das ist, was mich ausmacht, ist jederzeit änderbar. Wie gesagt, theoretisch. Wirklich möglich ist es erst dann, wenn ich mich nicht mehr als „Ich“ definiere, mich also nicht festlege. Dann mache ich nichts mehr, weil „Ich“ es eben so mache.

Sobald ich von etwas Gegebenem ausgehe, also von etwas, das mich in meiner Vorstellung definiert, werde ich zwangsläufig starr und unbeweglich. Denn definieren kann mich nichts, was nicht Beständig ist. Wie gesagt, meine Eltern, mein Bruder, mein Geburtsdatum, meine Töchter, dass ich männlich bin – so ziemlich alles andere ist wandelbar.

Also kein Ich zu sehen. Erkenne ich, dass es kein „Ich“ gibt, bin ich frei, mich in jedem Augenblick neu entscheiden zu können.