„Neue“ versus „alte“ Physik 

Die Physik vermittelte bisher den Eindruck, das Universum sei klar berechenbar und die darin stattfindenden Prozesse seien eindeutig und vorhersagbar strukturiert. Seit wir jedoch über die Erkenntnisse der Quantenphysik verfügen, hat sich dieses Bild drastisch gewandelt. Weder wussten wir wie was das Universum im Großen noch was es im Kleinen wirklich war – und wissen es auch immer noch nicht so ganz genau.

Die „moderne“ Physik hat festgestellt, dass es nicht so einfach und vor allem nicht so logisch ist, wie wir immer dachten. Die Naturgesetze lassen sich eben nicht definieren, es sind keine feststehenden Gesetze, sondern nur Beschreibungen der Wirklichkeit. Aber nicht nur das, die Physiker haben auch erkannt, dass der Beobachter durch seine Beobachtung offensichtlich beeinflusst, was passiert, was also die Materie „macht“, wenn ihr eine Frage (?) gestellt wird.

Schauen wir Materie etwas an, nimmt sie sozusagen Haltung an, schauen wir sie aber nicht mehr an beziehungsweise messen wir nichts, löst es sich in einen diffusen Raum von Möglichkeiten auf. Das ist für mich als Otto Normalmensch die vielleicht interessanteste Erkenntnis. Es ist eine spannende Frage, was es für den Kaktus für einen Unterscheid macht, wer ihn anschaut. Eigentlich keinen könnte man denken – wenn es da nicht Menschen mit dem grünen Daumen gäbe, so wie es andere gibt, bei denen keine Pflanze zu gedeihen scheint.

Unabhängig davon, dass jeder Mensch die Dinge sieht, wie er sie eben sieht, gestalten wir die Realität durch das, worauf unsere Aufmerksamkeit gerichtet ist wie die Intension, die damit einhergeht. Wie und in welchem Umfang und mit welcher Auswirkung wir das machen, wissen wir zwar nicht, aber wir tun es. Doch das bedeutet nicht, dass wir es auch wahrnehmen könnten, denn die Realität können wir nicht wahrnehmen, sondern nur die für uns erfahrbare Wirklichkeit. Diesen persönlichen Raum können wir nur dadurch verlassen, wenn wir nichts mehr wollen, nicht mehr urteilen, nicht mehr beurteilen und die Vorstellung eines Ich im Schrank ganz hinten verräumt haben.

Unser Wissen ist nicht nur begrenzt, wir können vieles einfach nie wissen, jedenfalls nicht, was ein Wissenschaftler üblicherweise Wissen nennt. Heisenberg hat dieses Phänomen Unschärferelation genannt. Und die Logik, von der wir bisher ausgehen zu können dachten, gilt in dem Universum eben nicht – und wir sollten wirklich nicht denken, sie gelte nur in der Physik nicht, nein, sie gilt nirgends. Das liegt an dem bei der Theoriebildung ausgeschlossenen Dritten, denn er bildet ja die Theorie, aber durch die Theoriebildung beobachtet er nicht nur, er gestaltet sie mit. Wir sind immer mittendrin.

Aus diesem Nichtwissen und der darauf folgenden Neugier entstand die Quantenphysik. Quantenphysiker wie Bohr, Pauli, Heisenberg oder Dürr und wie sie alle heißen, vertraten in ihren Vorträgen und Publikationen weltanschauliche Positionen, die lebensphilosophisch geprägte Motive erkennen lassen.

Damit stellt sich die Frage, inwiefern eine Beschäftigung mit den Erkenntnissen der Quantenphysik Einfluss auf die eigene weltanschauliche Haltung und letztlich auf das persönliche Verständnis von Ethik hat. Es ist eine Gratwanderung, denn wovon können und wovon müssen wir ausgehen? Ich denke, dass wir uns in einer Sandwich-Position befinden. Von oben und von unten Druck.

Wir müssen nämlich davon ausgehen, dass wir die Welt des ganz Großen, also das Oben, nicht präzise beschreiben können, genauso wenig wie wir die Welt des ganz Kleinen beschreiben können, als das Unten. Nur das Dazwischen lässt sich scheinbar eindeutig definieren. Doch kann ich das Oben und das Unten bei der Betrachtung des Dazwischen vernachlässigen?

Das gewohnte, mechanistische Weltbild (also der sogenannte gesunde Menschenverstand) beschreibt die Welt mit den Prinzipien 1) der Kausalität, der Kette von Ursache und Wirkung, 2) der Lokalität, Dinge wirken nur dann aufeinander ein, wenn sie auf irgendeine Weise miteinander örtlich (lokal) in Berührung kommen und 3) der Chronologie, also Dinge, die kausal voneinander abhängig sind, sind auch zeitlich voneinander abhängig.

Worin also besteht nun die Oberflächlichkeit und Beschränktheit dieses mechanistischen Weltbildes? Die Antwort hierauf wird verblüffend offensichtlich, wenn man die Axiome, die grundlegenden Annahmen, von denen dieses Weltbild ausgeht, näher betrachtet: Die Annahme der mechanistischen Kausalität geht von der Autonomie der Teile aus. Die Annahme der mechanistischen Lokalität geht von der Isolation der Teile aus. Die Annahme der mechanistischen Chronologie geht von der Linearität der Teile aus. A, B, C und so weiter bilden nicht nur im Raum, sondern auch in der Zeit eine Linie. 

Bei diesen Formulierungen wird die Oberflächlichkeit und Beschränktheit plötzlich auffallend. Kein Faktor, Objekt oder Lebewesen ist autonom. Die Welt und die gesamte Schöpfung zeigt in jedem ihrer Aspekte einen organischen Aufbau. Alle Teile sind „gleichzeitig“ voneinander abhängig und wachsen gemeinsam. Sie bilden ein organisches Ganzes, und innerhalb dieses Gesamtzusammenhanges hat jeder Teil seine Aufgabe. Versucht man nun – wie wir es tun, wenn wir die Dinge differenziert betrachten – die Teile herauszulösen, um sie als autonome und isolierte Faktoren zu analysieren, bricht man den Gesamtzusammenhang künstlich auf und schafft eine unnatürliche Situation.

Wovon können (oder müssen) wir also ausgehen? Die Wirklichkeit ist nicht eindeutig. Ein Teilchen kann an zwei Orten gleichzeitig sein. Muss aber nicht. Physiker nennen das Superposition. Die zeitliche Reihenfolge von Ursache und Wirkung ist nicht zwingend, was die Frage aufwirft, ob es Zeit überhaupt gibt oder Zeit etwas ganz anderes ist, als wir bisher darunter verstehen. So erlebe ich zwar Bewegung, aber ohne Zeitgefühl. Je genauer wir hinschauen, desto weniger können wir etwas konkret feststellen.