Propriozeption

Die „andere“ Art von Sicherheit. Sicherheit, etwa bei alltäglichen körperlichen Aktivitäten, kann ich durch Absicherung oder Hilfsmittel gewinnen – oder eben durch Propriozeption.

So kann ich mich hinsetzen oder irgendwo festhalten, wenn ich meine Hosen anziehe. Oder mit dem Motorrad langsamer als technisch notwendig fahren, weil ich mich nicht sicher fühle und nicht weiß, ob ich mich selbst unter Kontrolle haben werde.

Unter „Kontrolle“ kann ich mich selbstverständlich nie haben, jedoch interessiert das hier nicht. Sondern die Frage, was mir das Gefühl von Sicherheit gibt.

Das ist eben der Einsatz von Hilfsmitteln beziehungsweise entsprechende Strategien. Oder ich entwickle die mir grundsätzlich mögliche Propriozeption.

Das bedeutet das Bewusstsein und Gewahrsein für den äußeren Raum und den Fluß der Zeit gleichermaßen, also nicht getrennt, sondern als Einheit; aber nicht nur das, sondern auch den eigenen Körper in seiner raum-zeitlichen Bewegung und das wiederum gleichzeitig und nicht getrennt von Raum und Zeit, also die Empfindung der äußeren Raum-Zeit und der Raum-Zeit für das Eigene.

Propriozeption ermöglicht mir die die Eigenbalance zu wahren und mich in Raum und Zeit zu bewegen. Was so möglich ist, wird in diesem Video sichtbar.

An oder mit der Propriozeption wird deutlich, wie einschränkend es ist – und nicht nur sein kann –, ein Phänomen in verschiedene Aspekte aufzutrennen und nicht als Eines wahrzunehmen – und eben nicht als Ganzes, denn ein Ganzes setzt sich aus Teilen zusammen.

Denke ich „ganzheitlich“, kaschiere ich nur die gedankliche (!!) Trennung. Hilfreicher ist es, von dem in sich differenzierten Einen auszugehen und darauf auch meine Gedanken wie meine Sprache aufzubauen. Die Art und Weise, wie ich denke, ist auch für die Bewegung ganz wesentlich, denn bevor ich etwas tue, muss ich es auch denken können, nicht nur, dass ich es kann.

Propriozeption ist also ein geistig-mentales Phänomen, das sich nicht nur auf die körperliche Bewegung auswirkt, sondern auch auf die geistige Beweglichkeit. Die Hilfsmittel und Stützen, die statt der geistig-mentalen Propriozeption angewendet werden, sind Konzepte, Methoden, Vorstellungen, Annahmen und so weiter.

Werden mir diese Stützen weggenommen, verunsichert mich das erst einmal, denn ich habe wegen dieser Hilfsmittel nicht gelernt, mich gedanklich frei zu bewegen. Die Stützen geben ganz klar Sicherheit – aber sie schränken mich auch in meiner Beweglichkeit ein.

Andererseits gewinne ich diese Sicherheit durch Propriozeption zurück. Wenn mir das bewusst ist, ist der Schritt aus dem gedanklichen Gefängnis leicht zu machen, dann lasse ich mich auf die Situation ein, erst einmal nicht sicher zu sein, bis ich weiß, wo ich mich gedanklich bewege. Ich bin einfach vorsichtiger, das ist alles, was es braucht.

Vor allem wenn ich die Propriozeption auf gedankliche Überlegungen beziehe, wird ein interessantes Phänomen deutlich, nicht nur, dass es dem Flow entspricht: Das „Ich“ und das „Ego“ verschwinden. In diesem komplexen Lebensraum, in dem es keine gedankliche Trennung zwischen Innen und Außen sowie zwischen Raum und Zeit mehr gibt, gibt es nur das, was passiert, aber keinen Handelnden mehr – auch wenn es einem Beobachter so erscheinen mag.

Man kann mich zwar sehen, wie ich Motorrad fahre, aber ich erlebe kein „Ich“ auf dem Motorrad. Und wenn doch, bekomme ich sofort Schwierigkeiten, denn die Propriozeption kollabiert. Oder anders ausgedrückt: Das Feld des Möglichen bricht zusammen, ich wechsle von der Kohärenz in die Dekohärenz.

Dass diese Überlegungen keinem Fantasyfilm entnommen sind bestätigen – für mich – die Quantenphysiker. Die haben erkannt, dass es bei der Beobachtung der kleinsten Teilchen eine Stelle der Umkehr gibt, nach der der Versuch des genauer Hinschauens, als des Verkleinerns des untersuchten Objekts, in den Gegenteil umschlägt.

Atome, Elektronen und andere Elementarteilchen sind also wirklich vorhanden, aber nicht als eigenständig existierende Formen des Seins, sondern nur in Wechselwirkung mit ihrer Umgebung. Atome sind Ursachen, aber keine Sachen. Es sind kontextuelle Objekte, die nur relativ zu Beobachtungsmitteln definiert werden können. Atome sind deshalb auch offene Systeme, die ähnlich wie eine Kerzenflamme sich ständig ändern und gerade dadurch ihre Identität bewahren.“ (Ernst Peter Fischer, Die Stunde der Physiker)

Wenn ich das einmal zurückdenke bis zu meiner Existenz, dann wird mir klar, dass ich zwar Ursache, aber nichts aus sich selbst heraus existierendes bin. Was mir ein leises Grinsen in das Gesicht bringt, denn das macht mich frei und ungebunden.

Die Aufgabe ist es daher, die Welt, die Natur und uns Menschen vom Einen her, als Eines gesehen, zu verstehen.