Theorie ist nicht theoretisch

Warum erscheint den Mathematikern die Mathematik so schön und elegant, ja geradezu perfekt? Ganz einfach, sie rechnen eben nicht nur das kleine und das große Ein-Mal-Eins rauf und runter, sondern auch theoretische Mathematik.

Exakt so leben wir Menschen auch, wenn wir uns in einem idealen mentalen Zustand bewegen. Sie wissen wahrscheinlich was jetzt kommt, vorausgesetzt Sie kennen mich schon: Motorradfahren. Das, was ich dabei erlebe, dauert den winzigen Bruchteil eines Moments, kürzer als ein Wímpernschlag. Wenn es passiert, ist es sofort wieder vorbei und ich bereite mich innerlich auf den nächsten Moment des Erlebens vor.

Ich „taste“ mich sozusagen Meter um Meter die Straße entlang, checke den nächsten Meter beziehungsweise, was ich im Blick habe, suche mir blitzschnell aus den mir zur Verfügung stehenden Handlungsmöglichkeiten eine (hoffentlich die passende) aus, setze diese um, erlebe sie also, um schon wieder die nächste auszusuchen aus dem Pool der mir zur Verfügung stehenden Möglichkeiten.

Wenn ich einen Moment genieße, lebe ich schon in der Vergangenheit, es sei denn, ich fange immer wieder von vorne an. Das merke ich daran, dass ich keinen Gedanken im Kopf habe, denn ist mir etwas so bewusst, dass ich es bewusst merke, ist es nur subjektives Bewusstsein, nicht das Bewusstsein des Handelns durch NichtHandeln.

In solchen Momenten denke ich zwar auch, aber nicht so, dass es mir bewusst würde, dass ich darüber nachdenke. Denken durch NichtDenken eben. Wenn mir etwas so bewusst ist, dass da ein Gedanke oder ein Gefühl in mein persönliches Bewusstsein dringt, dann ist es gerade nicht im Bewusstsein, sondern in meinem Bewusstsein, also fragmentiert.

Tatsächlich bewusst bin ich nur dann, wenn ich es nicht als individuelles Bewusstsein erlebe. Natürlich habe ich dabei Empfindungen und Gefühle, aber ich identifiziere mich nicht damit, weder mit dem Körper noch mit dem Geist und letztlich auch nicht mehr mit dem Körper-Geist – denn Körper und Geist sind ein und dasselbe.

Ich bin „bei mir“, wenn ich Körper und Geist als Einheit erlebe, als Eins. Und wenn ich dann „den Anderen“ und mich als Eins erlebe, dann komme ich so langsam in der Wirklichkeit an. Bewusstsein öffnet also die Tür, Bewusstsein und Realität zu transzendieren. Deshalb liegt der Sinn von Yoga oder Meditation darin, sich von den mentalen Aktivitäten zu befreien. Den selben Effekt hat übrigens auch Motorradfahren.

Also alles, was ich im Zustand des Flow mache. Auch kochen kann ich so – manchmal. Mein Ziel ist es ganz klar, möglichst oft in diesem Zustand zu sein. Vielleicht schaffe ich es auch, das immer hinzubekommen. Wobei die Hürde wahrscheinlich nur die ist, dass ich es mir noch nicht vorstellen kann. Meine Hunde waren da besser als ich unterwegs. Die wussten offensichtlich nicht, wie man sich beim So-Sein durch beziehungsweise mit Nachdenken sabotiert.

Denken durch NichtDenken ist also nicht theoretisch, sondern sehr pragmatisch. Vergleichbar mit theoretischer Mathematik, die im Grunde ja alles andere als „theoretisch“ ist. Auch die theoretische Physik ist ja keine blanke Theorie, sondern verwendet mathematische Modelle und Abstraktionen physikalischer Objekte und Systeme, um Naturphänomene gedanklich erfahrbar zu machen.

Was für mich die Frage aufwirft, ob ich im Traum etwas anderes mache? Ich denke nämlich nicht.