Wo sich Ch’an und Quantenphysik treffen

Der wesentliche Unterschied zu dem üblichen Denken liegt darin, dass weder im Ch’an noch in der Quantenphysik der Satz des ausgeschlossenen Dritten gilt. Hier wird gerade nicht davon ausgegangen, daß von zwei einander widersprechenden Gegensätzen mindestens einer zutreffen muß. Oder dass der Satz vom (ausgeschlossenen) Widerspruch ergänzend besagen würde, daß zwei einander widersprechende Gegensätze nicht gleichzeitig oder beide zutreffen können.

Doch genau das ist der Fall. Im Ch’an wie im Taoismus wird davon ausgegangen und die Quantenphysik hat es unter Beweis gestellt. Und genau deswegen kann davon ausgegangen werden, dass Einstein mit seiner Behauptung, dass Gott nicht würfle, doch nicht recht hatte. Ja, viele Menschen hätten gerne eine determinierte Wirklichkeit, wo man schön planen und alles vorhersehen kann.

Nur,  diesen Gefallen tut uns die Wirklichkeit nicht. Doch das bedeutet nicht, dass sie unberechenbar wäre, nur sie ist eben nicht festgelegt und in diesem Sinne nicht berechenbar. Aber wie gesagt, kalkulierbar ist sie schon, aber nur in Wahrscheinlichkeiten. Vielleicht lässt sich das am einfachsten an der sinnenhaften Gesprächsform zwischen Eltern verstehen.

Also die Frau hat eine Vorstellung, wie der Sohn (es kann auch eine Tochter sein) erzogen werden sollte. Der Mann hat jedoch eine ganz andere, warum auch immer. Zwei  Ansichten – und kein objektives Maß, das einer Entscheidung zugrunde gelegt werden könnte. Kein Entweder-Oder, sondern ein Sowohl-als-Auch. Wie sollen die Eltern dieses offensichtliche Dilemma nur regeln?

Welche Gesprächsform würde man ihnen jetzt empfehlen? Debatte? Diskussion? Diskurs? Dialog? Bedenkt man, dass es in Gesprächen immer darum geht, dass Menschen miteinander sprechen wollen, weil sie 1) miteinander Probleme lösen wollen, oder weil sie 2) Sichtweisen austauschen wollen, in denen Menschen eigentlich gegeneinander sprechen (weil sie gewinnen oder überreden wollen). Im Fall 1 kommt der Dialog in Frage, im Fall 2 die restlichen drei, je nach Situation. Weil aber keine der beiden besser als der andere ist, kommt nur der Dialog in Frage.

Und genau so, also mit oder durch Recht-haben-Wollen, funktioniert das Leben nicht, weil wir im Gegenüber keine Objekte, sondern Subjekte vorfinden. Dazu fällt mir wieder der Satz von Thomas Berry ein: „Das Universum ist eine Gemeinschaft von Subjekten, nicht eine Ansammlung von Objekten.“ Also bei anderen Lebewesen bekomme ich das einigermaßen hin, bei dem Stuhl und dem Tisch ist das schon sehr schwierig. Aber auch da, sagt die Quantenphysik, ist das so. Nur ist das nicht vorstellbar, jedenfalls für mich noch nicht.

Doch es ist so! Also suche ich das disjunktive Gespräch, in dem sich die unterschiedlichen Ansichten erst einmal ausschließend, zugleich aber eine Einheit bewirkt werden soll. Es sind vier wesentliche Aspekte, die letztlich keine andere Gesprächsweise zulassen:

    • Wir sind nie getrennt von dem, was wir wahrnehmen, sondern immer mittel drin,
    • es gibt tatsächlich nur ein Bewusstsein,
    • auch das eigenständige, aus sich selbst heraus existierende „Ich“ gibt es nicht,
    • Beziehung ist das Wesentliche, Eigentliche.

Also stimmt nicht alles, was wir gemeinhin denken oder auch glauben. Da sollten wir schon den Quantenphysikern folgen. Oder den Ch’an-Menschen.

Daher halte ich es mit Heisenberg und rede letztlich in Metaphern: „Die Quantentheorie ist so ein wunderbares Beispiel dafür, daß man einen Sachverhalt in völliger Klarheit verstanden haben kann und gleichzeitig doch weiß, daß man nur in Bildern und Gleichnissen von ihm reden kann.“

Heißt, ich muss zuerst die Gesetzmäßigkeiten verstehen, will ich sinnvoll in Bildern sprechen können. Nicht umgekehrt!