Was ist wirklich wirklich?

Und wie gehe ich damit um?

Die Menschen schlafen solange sie leben.
Erst in ihrer Todesstunde erwachen sie.

(1001 Nacht, 15.Nacht) Zitiert von Nikolaus Gerdes in seinem Text „Der Sturz aus der normalen Wirklichkeit und die Suche nach Sinn“ ganz zu Beginn.

Ich denke, der Mensch ist ein Herdentier und es ist ihm wichtig, „dazuzugehören“. Einmal unterstellt, dass es tatsächlich so ist, dann ist es nicht sinnvoll, weiter unterstellt, dass die Annahme zutrifft, dass ich grundlegend anders als meine Freunde und Bekannten denke, also von einem ganz anderen Weltbild ausgehe als sie, dann ist es nicht sinnvoll, mich anzupassen, um „dazuzugehören“.

Denn immer da, wo ich mich anpasse, verrate ich ein Stück weit meine Persönlichkeit, gebe meine Identität auf. Ich passe mich eben an, was nichts anderes bedeutet, als mich zu verbiegen.

Der einzige gangbare Weg ist zu mir selbst und meinen Überzeugungen zu stehen, jedoch ohne die Erwartungshaltung, dass andere sich auf mein Denken einlassen oder dem gar folgen.

Was unvermeidbar erst einmal einen nicht ohne weiteres überwindbaren (Verständigungs-) Graben schafft. Die Sprache, deren sich alle bedienen müssen, ist Ausdruck der Wirklichkeitssicht des vermeintlich Richtigen, weil „Normalen“. Das bedeutet, sie ist prinzipiell ungeeignet, eine Wirklichkeitserfahrung außerhalb der „normalen“ Wirklichkeitsbilder zu vermitteln.

Unterschiedliche Weltbild definieren Begriffe unterschiedlich, denn ein Begriff hat nur die Bedeutung, die dem jeweiligen Weltbild entspricht. Also gehe ich – erst einmal – Gesprächen aus dem Weg, jedenfalls so lange, so lange ich den Geist noch nicht zum Schweigen gebracht habe.

Im Ch’an geht es ja darum, den inneren Dialog anzuhalten, den Geist zum Schweigen zu bringen. Durch den Dialog mit realen oder vorgestellten anderen wird die „normale“ Wirklichkeit durch die verwendeten Begriffe und der ihnen beigemessenen Bedeutung gestützt und reproduziert.

Ch’an Praktizierende gehen ja davon aus, dass die „normale“ Weltsicht der Wirklichkeit nicht entspricht. Das selbe sagt für mein Verständnis die Quantenmechanik, zeigt sie doch auf, dass das bisher von der Physik als korrekt angenommene Weltbild unvollständig ist und letztlich von unzutreffenden Annahmen uns Vorstellungen ausgeht.

Es geht also darum zu ergründen, was Wirklichkeit überhaupt ist.

Vieles kann den „Sturz aus der normalen Wirklichkeit“ auslösen. Das ist dann der Fall, wenn die normale Abschirmung des Bewusstseins durch die gegebene Realität durchbrochen und der sinnenhaften Wirklichkeitskonstruktion, die bisher mit den anderen gelebt wurde, schlagartig die Grundlage entzogen wird.

Doch worin besteht dann „die Suche nach Sinn“, wie es in dem Titel des Textes von Gerdes heißt? Bedauerlicherweise gibt es darauf keine konzeptuelle Antwort. Was logisch ist, wurde doch durch die Erfahrung und vielleicht auch Erkenntnis der Welt der Konzepte die Grundlage entzogen.

Wichtig ist, sich nicht in den Mystizismus zu flüchten, sondern ernsthaft nach Wegen zu suchen, die einem zu erkennen helfen, was wirklich wirklich ist. Das bedeutet erst einmal, nie bei irgendwelchen gedanklichen Konzepten stehen zu bleiben, sondern den Dingen auf den Grund zu gehen, wirklich auf den Grund zu gehen.

Ich halte mich da an Wilhelm von Ockham. Er sagte, dass bei mehreren möglichen hinreichenden Erklärungen für ein und denselben Sachverhalt die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen sei. Eine Theorie ist einfach, wenn sie möglichst wenige Variablen und Hypothesen enthält und wenn diese in klaren logischen Beziehungen zueinander stehen, aus denen der zu erklärende Sachverhalt logisch folgt.

Dabei gehe ich – soweit ich es kann – von dem aktuellen Wissen der Naturwissenschaften aus, bin jedoch bei psychologischen Konzepten sehr, sehr vorsichtig. Grundsätzlich gehe ich zwar davon aus, dass der Begriff Psyche Sinn macht, aber keine psychologischen Konzepte. Was es davon weder im Ch’an noch in der TCM gibt, das lasse ich lieber außen vor.

Damit ist zwar die Sinnfrage beantwortet, denn der Sinn liegt für mich allein darin herauszufinden, was Wirklichkeit ist, aber unbeantwortet bleibt die Frage, wie ich mich nicht wieder in unzutreffende Konzepte verheddere.

Das Erste, was mir dazu einfällt, ist mir meiner selbst sicher zu sein. Also erst validieren und dann immer wieder verifizieren, was ich denke, sage und tue. Und auch das bereits Validierte immer wieder überprüfen. Nicht einfach, sich seiner selbst sicher zu sein, mir dabei aber nie sicher sein, dass ich der Wirklichkeit gemäß denke.

Im Gespräch verzichte ich darauf, Beurteilungen oder Urteile zu denken, sondern stelle Fragen – wenn überhaupt. Oder einfach zuhören und schweigen.