Die historische Verantwortung übernehmen

Das habe ich gerade in einer Bundestagsdebatte gehört, der Gedanke kam von Gregor Gysi. Ja, es stimmt, wir alle haben als Deutsche die historische Verantwortung für das, was im Namen Deutschlands geschehen ist.

Diese Verantwortlichkeit ist in erster Linie eine ethische und wir dürfen nicht versuchen, uns davon freizukaufen, auch nicht als Staat. Diese Verantwortung besteht in erster Linie darin, aktiv die Hintergründe und die Beteiligung daran offenzulegen. Es ist nicht leicht, sich der Geschichte der Verbrechen zu stellen, die unsere Vorfahren begangen haben, es kostet Überwindung, offen darüber zu sprechen.

Es dauerte bis 1985, bis Bundespräsident Richard von Weizsäcker sich im Namen Deutschlands klar zu den Verbrechen der Nazi-DIktatur bekannte. Dass das Ende des Krieges ein Tag der Befreiung auch für das Deutsche Volk war, wie er deklarierte, ist jedoch noch nicht in allen Köpfen und Herzen angekommen.

Ich finde es unerträglich, wenn die sogenannten Trümmerfrauen für ihr Tun nach dem Krieg regelrecht verehrt werden und sich niemand fragt, wo sie vorher waren, was sie vorher getan haben. Es gehört für mich zu meiner historischen Verantwortung, diese nicht an den Staat weiterzureichen, er vertritt mich allenfalls für Dinge, die ich selbst nicht tun kann.

Es ist und bleibt aber meine eigene historische Verantwortung, offenzulegen, wie meine Familie in die Geschehnisse des Dritten Reichs involviert war, ihre Beteiligung und, soweit möglich, auch die Hintergründe offen zu legen. Was war ist vielfach wesentlich leichter zu klären als die Frage, was die Menschen dazu bewegt hat zu tun, was sie getan haben.

Doch die Fakten zu kennen sagt mir noch nicht, wo ich vielleicht ganz ähnlich wie sie denke. Derjenige, der Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat, das war ganz klar mein Vater, doch ihn zu verurteilen würde ausblenden, dass Dinge zusammenkamen, die seine mentale Gestimmtheit in eine unheilvolle Richtung lenkte.

Er war in diesem Sinne nicht böse, aber er wurde es. Es geht nicht darum, ob er böse war oder nicht, sondern es geht darum, dass er nicht verhindert hat, böse zu werden. Was hat ihn das ethisch-moralische Stoppschild ignorieren lassen, das die Grenze des Hippokratischen Eides markiert? Das ist die Frage.

Das ist seine persönliche Verantwortlichkeit; meine ist es, die Hintergründe, soweit es mir möglich ist, offenzulegen, um alles zu tun, dass sich das nicht wiederholt. Es war kein abstraktes Gen des Bösen, das meinen Vater schlimme Dinge tun ließ, es war ein Zusammentreffen von Umständen, die nichts miteinander zu tun hatten, aber in ihrer Verbindung dramatische und nicht zu tolerierende Folgen hatte.

Darin liegt wohl meine ganz persönliche Verantwortung, mir dessen bewusst zu sein und dafür zu sorgen, dass ich letzten Endes nicht für das Bösen verführbar werde. Der Vorwurf, den ich meinem Vater machen muss, ist nicht, dass er „böse“ war, sondern dass er verführbar war – was es aber kein bisschen besser macht.