Selbstbewusstheit und Propriozeption

Das eine geht nur mit dem andern. Darauf gebracht hat mich die kürzliche Bemerkung meiner Feldenkrais-Lehrerin, wie ich mir das in der Übung Erfahrene immer wieder bewusst machen könne.

Als ich früh die Treppe hinauflief, probierte ich es einmal aus. Nicht nur, dass es funktionierte, mit der Bewusstheit meiner selbst nahm ich mit einem mal auch den Raum ganz anders wahr, irgendwie plastisch. Wahrscheinlich nur, weil mein Fokus dabei nicht ich selbst war, sondern die Treppe.

Es war, als würde ich den Raum nicht nur sehen, sondern als könnte ich mich geistig darin bewegen, ohne meine aktuelle Position zu verändern. Ich war ein Teil des Raumes, aber nicht mehr durch meinen Körper definiert, sondern als wäre ich irgendwie der Raum selbst, frei darin floatend.

Als ich danach mit dem Motorrad unterwegs war, war es ganz ähnlich. Ein Zustand, der normalerweise nicht als Selbstbewusstheit bezeichnet wird. Aber es ist Selbstbewusstheit! Ich war nicht mit mir oder meinen Gedanken beschäftigt, sondern mit dem Fahren an sich. Erst hinterher wurde mir bewusst, was ich tat, aber in dem Moment des Tuns war ich dort, wo meine Aufmerksamkeit war.

Ich war nicht mehr in meinem Körper verortet, sondern in dem jeweiligen Fokus meines Bewusstseins, gelenkt durch meine Aufmerksamkeit. Das war der entscheidende Unterschied zu meinem „normalen“ Zustand. Ich war auch nicht in Gedanken, einem Film oder in ein Gesprächsthema vertieft, sondern in dem Raum selbst.

Es war das Bewusstsein meiner selbst. Das ist jedoch entgegen der üblichen Meinung nirgends zu verorten, weder in meinem Körper, meinen Gedanken, meinen Absichten, der was auch immer, sondern es ist grenzenlos und folgt allein der Aufmerksamkeit, nichts sonst. Mir ist bewusst, worauf ich fokussiert bin. Ist mein Fokus offen, ist es auch mein Bewusstsein und damit meine Bewusstheit.

Selbstbewusstheit‏‎ bedeutet also Selbstbewusstsein aufweisend, sich seiner selbst sicher sein – und nicht nur so aufzutreten. Wenn man eine gute Selbstbewusstheit hat, dann versteht man das eigene Gefühlsleben gut und kann es beachten. Menschen mit Selbstbewusstheit sind in der Lage, ihre eigenen Emotionen, ihre eigene Betroffenheit wahrzunehmen, sie zu berücksichtigen und sich ein Stück weit davon zu distanzieren. Jedenfalls ist es nicht das, was gemeinhin unter „Selbstbewusstsein“ verstanden wird.

Das ist meines Erachtens nichts anderes als Propriozeption des Selbst. Es ist nicht nur die Wahrnehmung des eigenen Körpers nach dessen Lage im Raum, den Stellungen von Kopf, Rumpf und Gliedmaßen zueinander sowie deren Veränderungen als Bewegungen mitsamt dem Empfinden für Schwere, Spannung, Kraft und Geschwindigkeit; sondern es geht darüber hinaus.

Selbstbewusstheit umfasst den Raum, in dem ich mich befinde, doch „mich“ gibt es da an keinem expliziten Ort, sondern ich bin „irgendwie“ überall – vorausgesetzt ich begrenze meine Selbstbewusstheit nicht durch ein spezifisches Interesse, eine Absicht. Es ist jedoch mehr als eine reine Eigenempfindung, es ist das Gewahrsein meiner selbst.

Nur dass es darin kein „Ich“ mehr gibt.