Kosmische Architektur

Die Struktur des Makrokosmos lässt sich relativ leicht vorstellen, man kann es, zwar mit optischen Hilfsmitteln, aber eben sehen. Und man kann sich ein Modell davon machen. Doch die Entdeckung der kosmischen Struktur fing immer mit einer Vision Einzelner an.

Ich darf ja nicht vergessen, dass Wissenschaft immer erst mit einer Vision beginnt. Eben einer Vorstellung. Erkenntnis speist sich aus der Gabe, Dinge vor meinem inneren Auge anders sehen zu können, als ich sie bislang gesehen habe.

Und wenn ich früher Mitschülerinnen oder den männlichen Pendants die Relativitätstheorie erklären wollte, brauchte ich immer nur einen Stift und ein Blatt Papier. Die Schwierigkeit, Quantenmechanik zu verstehen, liegt für mich darin, dass ich mir sie nur schwer vorstellen kann. Ich habe dafür kein gedankliches Bild. Aber es wird. Oder habe ich schon längst eins, nur dass das schwierig ist mit der Welt in Einklang zu bringen, so wie ich sie vielleicht (noch) sehe?

Die Relativitätstheorie ist da wesentlich leichter zu verstehen, denn die kann ich mit Zeichnungen einigermaßen darstellen – aber Quantenmechanik? Als Einstein intuitiv erkannte, dass Licht aus Teilchen besteht, ahnte er nicht, dass die Teilchen wiederum letztlich aus Quarks bestehen. Quarks ist ein von Murray Gell-Mann „erfundener“ Begriff, inspiriert durch ein Wort ohne Bedeutung in einem Satz ohne Bedeutung, nämlich „Three Quarks for Muster Mark!“ aus Finnegan Wake von James Joyce.

Um Elementarteilchen „verstehen“ zu können, muss ich die Welt aus Feldern bestehend denken, wo alles in Beziehung und in Wechselwirkung zueinander steht. Denn letztlich gibt es keine Teilchen, denn sie entstehen nur, wenn sie gebraucht werden und verschwinden dann wieder – wie ein Gedanke.

Vielleicht empfinden viele Menschen das Meer deswegen als so faszinierend, weil es ein wunderbares Bild für ein solches Feld ist, das still und ruhig und (fast) vollkommen unbewegt ist, aber auch stürmisch und gewaltig sein kann? Was bei dem Meer der Wind und die Strömung, das sind bei uns Menschen das, was wir denken und ob wir daran festhalten oder es frei fließen lassen, sowie unsere Reaktionen auf die äußeren Umstände unseres Lebens.

Die Schwierigkeit besteht nur darin, dass sich – natürlich nur in unserem Verständnis – Relativitätstheorie und Quantenmechanik scheinbar widersprechen. Noch ist es  nicht gelungen, das verbindende Element zu finden. Gehe ich andererseits von der Metapher Wasser für Geist aus, dann ist es sehr wohl verständlich, dass sich flüssiges Wasser anders verhält als Eis und wieder anderes als Wasserdampf.

Vielleicht kann es diese verbindende Beschreibung einfach deshalb noch nicht geben, weil es sich dabei um zwei unterschiedliche Aggregatzustände handelt? Mit Eis kann ich keine Nudeln kochen und auch nicht mit Wasserdampf. Also muss ich mich – natürlich metaphorisch – fragen, welchen Nutzen es haben könnte, dass Wasser unterschiedliche Aggregatzustände einnehmen kann.

Im Ch’an kommt ja die Wasser-Metapher immer wieder in vielen Gedanken über das Denken vor. Denken ist ja ein Prozess des Geistes. So sagt etwa Hui-Neng „Das wirkliche Nicht-Denken besteht darin, an alle Dinge zu denken, ohne sich von ihnen infizieren zu lassen.“

Mich mit meinen Gedanken zu infizieren lässt mein Denken starr und unbeweglich wie Eis werden. Das jedoch passiert, wenn ich mich selbst über meine Vorstellungen definiere und nicht nur beschreibe. Also sollte ich das auch mit dem Kosmos so machen, ihn „nur“ beschreiben, nicht definieren, damit ich mich selbst nicht damit infiziere.

Teilchen kommen und verschwinden wie meine Gedanken, wenn ich mich daran nicht festzuhalten suche und mich damit nicht infiziere, also sie in mein Sein zu integrieren suche. Und genau so kann ich auch die Wirklichkeit nicht „sehen“, wenn ich sie zu definieren suche.